http://vebu.de/tiere-a-ethik/satire/1112-satiere-mein-leben-in-der-schublade
" Ich bin Veganer. Um es gleich vorweg zu nehmen: Mangelerscheinungen habe ich eigentlich ständig. Aber das würde ich natürlich niemals zugeben. Mein Kreislauf ist häufig im Keller, mein Blutbild eine Katastrophe. Trotzdem trage ich stets eine Nährwerttabelle zur exakten Berechnung meines täglichen Eisen-, Kalzium- oder sonst-was-Spiegels sowie eine Notfallration Brausetabletten mit mir herum. Damit ich nicht auf allen Vieren zum nächsten muffigen Bioladen kriechen muss. Nicht mal Omas liebevoll gebackenen Sonntagskuchen darf ich essen. Ich kriege die trockenen Kekse, die niemand sonst mag. Ich auch nicht, aber ich habe keine Wahl. Auch nicht bei den Beilagen des Sonntagsbratens. Meine Hobbys sind Zutatenlisten lesen, Bäckereifachverkäufer nach der Beschichtung ihrer Backbleche befragen, Produktanfragen stellen, Fleischesser wahlweise als Mörder oder Wurstfaschisten titulieren und Pelzträgerinnen anpöbeln. Wenn ich ausnahmsweise mal Gaumenfreude simulierend nasche, dann – mangels Angebot – ausschließlich Rittersport Marzipan oder Mon Chéri. Eigentlich mag ich das ganze bittere Zeug gar nicht und äße lieber richtige Schokolade. Aber wenn das der Preis der Revolution ist, bin ich gerne bereit, ihn zu bezahlen.
Der asketische Konsument
Ich esse dem Essen anderer Leute das Essen weg, werde aufgrund der Tatsache, dass ich mich fast ausschließlich von Soja ernähre, bald impotent sein und sollte ich wider Erwarten doch einmal Nachwuchs zeugen, wird diesem ein trauriges Schicksal fernab von McDonald‘s-Kindergeburtstagen, Gummibärchen und Zoobesuchen beschieden sein. Ich bin ein zutiefst spaßresistenter, lebensqualitätsloser, genussfeindlicher Asket. So gesehen ist das mit der sojabedingten Impotenz eigentlich eher Segen als Fluch. Zur Beruhigung meiner durch B12-Mangel angeschlagenen Nerven gehe ich – bevorzugt am Wochenende – durch den Wald und esse einen regionalen, saisonalen und ungespritzten Qualitätsapfel. Nichts ist schließlich schöner als die unberührte, menschenleere Natur. Dem Planeten wird es besser gehen, wenn wir weg sind, denke ich immer. Alles hier ist so ursprünglich, so friedlich. Und Tiere sind die besseren Menschen, das steht ja sowieso fest. Sie enttäuschen einen nicht und sind immer für einen da. Katzen zwar eindeutig weniger als Hunde, aber dafür haben die ihren eigenen Kopf und lassen sich von keinem System verbiegen. Ich bin ein sentimentaler, bauchgesteuerter, idealistischer Träumer. Wenn ich irgendwo eingeladen werde, was eher selten vorkommt, weil man als nihilistischer Misanthrop und notorische Spaßbremse über keinen allzu großen Freundeskreis verfügt, esse ich nur Salat. Und sollten mich die Verlockungen der verhassten kapitalistischen Zivilisation wider Erwarten doch einmal die Lust auf diabolische Chemiechips verspüren lassen, so mache ich mich zunächst daran, die Gastgeberküche fieberhaft nach dem Corpus Delicti, der Chipstüte, zwecks peniblem Studium der Zutaten zu durchforsten.
Ich kaufe meine Lebensmittel nur bio, nur aus fairem Handel und habe mir das Tragen von Kleidung und Schmuck aus ästhetischen Gründen gänzlich abgewöhnt. Solch eitle Oberflächlichkeit ist mir zuwider. Ich lasse nicht zu, dass Konsumterror und die allgemeine Herzenskälte der Gesellschaft meine Mission gefährden. Denn von deren Erfolg hängt alles ab. Der Fleischesser ist der Feind der Welt, und ich bin sein Endgegner.
Auch das noch!
Ich bin aber nicht nur Veganer, sondern auch Tierrechtler. Und das heißt: Terrorist. Deshalb bezeichne ich mich unter Leuten sicherheitshalber immer nur als Tierschützer. Das ist weniger verfänglich und hat so etwas unkompliziert Sozialromantisches. Man denkt an putzige Kätzchen wie vom kostenlosen Apothekenheft-Poster, die sich flauschig-niedlich mit Hundewelpen und Babyenten in Wäschekörben einkuscheln und die man einfach nur knuddeln und lieb haben möchte. Sie vor jedwedem Unheil zu bewahren erscheint als oberste Bürgerpflicht. Aber Kühe? Und Schweine oder gar Puten? Schweine sind bekanntlich dreckig, Kühe strohdoof und Puten fettarm, also gesund. Von Hühnern und Fischen („Omega 3-Säuren!“) ganz zu schweigen. Ein Problem damit zu haben, Tiere überhaupt zu nutzen, ist natürlich übertrieben. Man muss auch mal Kompromisse machen. Immer mit dem Kopf durch die Wand, das führt doch zu nichts. So kommt man nicht weit im Leben, man muss ein gesundes Mittelmaß kennen, mit der Masse gehen. Das wusste schon mein Opa.Hauptsache artgerecht!
Und deshalb haben Tierschützer natürlich auch kein Problem damit, auf ihren gemütlichen Sommerfesten Schweinenackensteaks oder Grillknacker auf den Rost zu schmeißen. Es ist ja Biofleisch, und die „Viecher“ haben es vorher gut gehabt. Glückliche Kühe und so. Grüne Wiesen im Allgäu. Ist doch super! Dass ich solche glücklichen Wesen trotzdem immer überall raus holen will, erklärt sich leicht. Ich hatte eine problematische Kindheit, war mal Punker in der Schule, die ich selbstredend nicht abgeschlossen habe, und sympathisiere seitdem mit der RAF. Ich bin ein so genannter radikaler Tierschützer. Den Begriff „radikal“ kann mir zwar keiner so genau erklären, geschweige denn definieren, fest steht er dennoch. Und dann bin ich´s eben. So einfach ist das.
Action!
Wenn ich wegen Eisenmangel – im Biomarkt beim Anblick der Fleischtheke kollabiert – mal wieder in die Klinik muss, nutze ich die Gelegenheit für eine kleine humanitäre Maßnahme. Ich breche, wenn ich nun schon einmal da bin, gleich in eines der Labore ein (Uniklinik, Kellergeschoss!) und mache wahllos alle Käfige auf. Ich habe mir diese Aktion im Fernsehen abgeguckt. Da hat mal ein Privatsender-Reporter erklärt, was die „Animal Liberation Front“ ist und wie krass die sind. Er hat gesagt, sie seien kriminell und fortschrittsfeindlich. Fand ich super. Was mit all den Ratten, Mäusen und Kaninchen nun passieren soll, weiß ich selbst nicht so genau, sie werden wohl auf dem Parkplatz erfrieren, es ist immerhin Winter. Aber darüber habe ich mir bei meinem letzten Einbruch auf der örtlichen Nerzfarm auch keine Gedanken gemacht. Vielleicht liegt es auch an meiner Mangelernährung, dass ich immer wieder so abstruse und weltfremde Dinge denke, sage und tue, die niemand recht nachvollziehen kann. Zum Beispiel das Umwerfen von Hochsitzen. Ich störe den Jäger nur unnötig bei der Bestandsregulierung und beim Naturschützen. Tiere sind ja letztlich dafür da, uns zu nutzen, und ich gefährde Menschenleben, wenn ich sie einfach mitnehme. Zum Tierheim bringen kann ich sie auch nicht, denn natürlich habe ich als radikaler Umweltschützer kein Auto. Das wäre ja noch schöner. Wenigstens hatte ich auf der Nerzfarm einen warmen schwarzen Kapuzenpulli an, den ich vorher extra in einer örtlichen Bekleidungsketten-Filiale geklaut habe. Den Waschzettel habe ich abgeschnitten und ihn umweltgerecht entsorgt. Niemand soll schließlich sehen, dass der Pulli aus Bangladesh kommt.
Prioritäten setzen!
Menschenrechte sind mir eigentlich nicht so wichtig und fallen auch nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Der Pulli musste eben sein, denn Uniform ist Pflicht, man hat ja einen Ruf zu verlieren. Im passenden Outfit missioniert es sich auch schöner. Und man kann sich toll vermummen, auch wenn das verboten ist. Samstag ist es wieder soweit. Großdemo. Ich freue mich jetzt schon. Noch schnell ein paar Buttons auf den Pulli, wahlweise gegen Kapitalismus, Globalisierung oder was sonst allen außer uns egal ist. Wenn schon anti, dann richtig. Auch wenn ich mit einer plausiblen Erklärung dieser Positionen auf jeder drittklassigen Podiumsdiskussion dilettieren würde. Aber was soll man auch von Menschen erwarten, die allen Ernstes Rechte für Tiere fordern? Gut, dass alle anderen mir immer wieder sagen, wie radikal ich eigentlich bin. Meistens in der Mensa oder bei Omas Kaffeekränzchen. („Jetzt reden wir mal wieder von was Schönem. Nicht immer nur Politik!“) Ich selbst merke das ja nicht so, da ich ausschließlich unter meinesgleichen verkehre. Zum Beispiel in meiner bio-veganen 7er-WG mit Che Guevara-Poster an der Tür, auch wenn der ein Mörder war. Wegen dem „Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Effekt“ und weil man da nichts mehr erklären muss. Da ist Sojamilch im Kaffee, kein Ei im Kuchen, kein Leder im Schuhschrank. Und die Worte Speziesismus und Solidarität werden häufiger verwendet als “hallo“, „bitte“ und „danke“. Ein kleines, warmes Paralleluniversum voller Sicherheit. Ich darf nur nicht unter normale Leute, das ist der Trick. Weil ich nicht damit leben kann, dass alle so furchtbar Unrecht haben. Aber solange ich meine basisdemokratischen Grundsatz-Diskussionsabende daheim, und meine Uniform für draußen habe, bin ich bestens gerüstet.
Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit
Auch für Auseinandersetzungen mit Passanten während der Demo. Die verstehen zwar nicht, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Billigfleisch-Brötchen, das sie gerade essen, und der Schweinegrippe geben soll, aber wenn es schmeckt, schmeckt es eben. Woher der Pelzmantel kommt, den Frau gerade stolz aus der Breuninger-Filiale herausträgt, will sie auch nicht wissen. Kann man verstehen. Es ist Samstag, und da will der Deutsche in Ruhe Geld ausgeben. Krise hin, Krise her. Das letzte Hemd hat keine Taschen. Ich bin ein Trottel, wenn ich die Menschen ausgerechnet heute missionieren will. Hätte ich mir denken können. Total unlogisch, typisch Veganer!"Marc Hohrath
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